
(von li.) Prof. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing, Jan Philipp Lechler (Gymnasium Leopoldinum Passau, 1. Preis), Amelie Fuchs (Christoph-Jacob- Treu-Gymnasium Lauf an der Pegnitz, 2. Preis), Christine Hilker (Mutter der dritten Preisträgerin Martha Westerhoff, E.T.A. Hoffmann-Gymnasium Bamberg), Landtagspräsidentin Ilse Aigner, Kultusministerin Anna Stolz, Prof. Stefan Rappernglück, Vorsitzender der DVPB LV Bayern
2025
Bereits zum sechsten Mal wurde heuer am 04. Juli 2025 der Abiturpreis „Politik und Gesellschaft“ des Landesverbands Bayern der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung e. V. im Bayerischen Landtag verliehen. Der Landesverband hatte sich dazu entschlossen, auch in diesem besonderen Abiturjahrgang 2025 (Übergang G8/G9) den Wettbewerb durchzuführen, obwohl bei einer deutlich kleineren Anzahl an Abiturientinnen und Abiturienten in Bayern auch eine geringere Beteiligung zu erwarten war. Unterstützt wurde der Verband in seiner Entscheidung insbesondere vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus, vom Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) und von der Akademie für Politische Bildung Tutzing. Erfreulich ist, dass sich auch 2025 wieder ca. 10 % aller Absolventen mit ihren Arbeiten für den Abiturpreis der DVPB bewarben, obwohl es insgesamt in Bayern nur 100 Gymnasien gab, an denen Abiturprüfungen durchgeführt wurden.
Landtagspräsidentin Ilse Aigner als Schirmherrin des Abiturpreises „Politik und Gesellschaft“ und Kultusministerin Anna Stolz zeichneten im Beisein von Prof. Dr. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, zwei Abiturientinnen und einen Abiturienten aus, die sich in herausragender Weise in ihren Seminararbeiten mit aktuellen Themen aus den Bereichen Politik und Gesellschaft auseinandergesetzt haben.
Zu Beginn der Veranstaltung im Akademiesaal des Maximilianeums richtete sich Kultusministerin Anna Stolz beeindruckt an die Preisträgerinnen und den Preisträger: „Der Abiturpreis ‚Politik und Gesellschaft‘ würdigt Eure herausragenden wissenschaftlichen Arbeiten. Es ist eindrucksvoll zu sehen, wie fundiert Ihr Euch mit zentralen Fragen unserer Zeit auseinandersetzt. Jede der ausgezeichneten Arbeiten zeugt von Neugier, Genauigkeit und einem tiefen Interesse an politischen und gesellschaftlichen Fragestellungen. Wer so denkt und schreibt, stellt die richtigen Fragen und zeigt echten Weitblick. Herzlichen Glückwunsch und ich danke Euren Lehrkräften für deren fachlich fundierte Begleitung.“
Landtagspräsidentin Ilse Aigner betonte: „Sie, die Preisträgerinnen und der Preisträger,
haben mit Ihren Arbeiten bewiesen, dass Sie eine Stimme sein wollen, mit der Sie den Unterschied machen können. Das zeichnet Sie als Demokratinnen und Demokraten aus und dieser Preis zeichnet herausragende Leistungen aus. Ihre Eltern, Ihre Lehrer und vor allem die Preisträgerinnen und der Preisträger selbst können sehr stolz auf sich sein. Ich bin es jedenfalls. Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem außerordentlichen Erfolg!“
Im Namen des Landesverbands Bayern der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung bedankte sich ihr Vorsitzender, Prof. Dr. Stefan Rappenglück, für die Grußworte sowie bei Landtagspräsidentin Ilse Aigner für die erneute Übernahme der Schirmherrschaft und die Durchführung der Preisverleihung im Bayerischen Landtag. Zudem dankte er der Heinz und Sybille-Laufer-Stiftung für politische Wissenschaft für die Finanzierung der Preisgelder und der Akademie für Politische Bildung Tutzing, die Gutscheine für die Preisträger zur Verfügung stellt. Angesichts der gegenwärtigen gesellschaftlichen Polarisierungen könne diese unermüdliche Unterstützung und Förderung der dringend erforderlichen politischen Bildung und Demokratiebildung nicht hoch genug geschätzt werden.
Sein Dank gilt auch den Mitgliedern der Jury für ihre ehrenamtliche Arbeit. Seit dem Start des Abiturpreises „Politik und Gesellschaft“ vor sechs Jahren wurden durch die Jury insgesamt rund 700 Arbeiten aus ganz Bayern begutachtet.
Die Politische Bildung an Schulen steht und fällt mit dem Engagement der Lehrerinnen und Lehrer. Daher richtet sich der Dank des Landesverbands Bayern auch sehr herzlich an die Kursleiterinnen und Kursleiter für ihre Arbeit bei der Betreuung der Arbeiten. Viele Rückmeldungen von Schulen zeigen, dass der Abiturpreis „Politik und Gesellschaft“ sehr gut ankommt und geschätzt wird.
Eine in diesem Jahr etwas verkleinerte Jury des Landesverbands Bayern der DVPB, heuer überwiegend bestehend aus Lehrkräften, wählte aus den eingereichten Arbeiten drei herausragende aus. Bewertet wurden insbesondere die Problemorientierung, der aktuelle Bezug, eine multiperspektivische Vorgehensweise, ein eigenständiges, kritisches politisches Urteil, ein erkennbarer Anteil an Eigenaktivität im Verhältnis zur Quellenarbeit, die Anwendung von sachgerechten Recherchemethoden sowie die überzeugende Formulierung eines plausiblen Ergebnisses.
Diese Einzelkriterien konnten jeweils mit maximal 15 Punkten, der erkennbare Anteil von Eigenaktivität sogar mit bis zu 30 Punkten bewertet werden. Insgesamt war eine Maximalpunktzahl von 120 Punkten möglich. Die Bewertung der Arbeiten erfolgte in einem zweifachen Verfahren: zuerst in der Einzelbeurteilung von Zweier-Teams, die dann ihre „Topfavoriten“ in die Schlussrunde der End-Jury gaben.
Der erste Preis wurde mit 300 Euro prämiert, der zweite Preis mit 200 Euro, der dritte Preis mit 100 Euro; zudem gab es für jeden einen Gutschein für die Teilnahme an Angeboten der Politischen Akademie Tutzing.
Auffallend war in diesem Jahr die relativ hohe Anzahl an eingereichten Seminararbeiten aus dem Fachbereich Wirtschaft und Recht, während in den letzten Jahren die Fächer Politik und Gesellschaft, Geschichte und Religion dominierten.
Vor der Übergabe der Urkunden und Preise durch Landtagspräsidentin Ilse Aigner, Kultusministerin Anna Stolz und Prof. Dr. Ursula Münch würdigte Prof. Dr. Stefan Rappenglück die Seminararbeiten der Preisträgerinnen und des Preisträgers im Einzelnen. Die Preisträgerin Martha Westerhoff (E.T.A Hoffmann-Gymnasium, Bamberg) konnte leider nicht persönlich an der Veranstaltung teilnehmen, ihre Mutter, Christine Hilker, nahm den Preis für sie in Empfang.
Abgerundet wurde die gelungene Veranstaltung durch ein kleines Catering, bei dem sich Preisträger, deren Eltern sowie begleitende Schulleitungen und Lehrkräfte in Gesprächen mit geladenen Gästen austauschen konnten. Anwesend waren u. a. RDin Dr. Constanze Grothen und MRin Susanne Raab (Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus), Dr. Andrea Taubenböck (Wertebündnis Bayern), Marietta Hoffmann (Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung Dillingen), Christian Schroth (Bayerischer Jugendring) und Prof. Dr. Peter Hampe (Ehrenvorsitzender des LV Bayern der DVPB).
Nach der Veranstaltung konnten Interessierte an einer Führung durch den Landtag und durch die DenkStätte Weiße Rose im Gebäude der Ludwig-Maximilians-Universität teilnehmen.
Uta Lechner/Prof. Dr. Stefan Rappenglück
Die Preisträger 2025
(in alphabetischer Reihenfolge):
Fuchs, Amelie (Christoph-Jacob-Treu-Gymnasium Lauf an der Pegnitz): zweiter Preis
Zukunft der deutschen Krankenhäuser (Leitfach Wirtschaft und Recht)
„Wir sind tatsächlich im Gesundheitssystem derzeit im wahrsten Sinne des Wortes in einer Zeitenwende“. Mit diesem Zitat aus der Rede des ehemaligen Gesundheitsministers Karl Lauterbach am 7. Mai 2024 zur Eröffnung des 128. Deutschen Ärztetages in Mainz beginnt Frau Fuchs ihre Seminararbeit. Grund für diese Aussage ist die sich in den letzten Jahren verschärfende Lage der deutschen Krankenhäuser und ein hoher Reformbedarf. Die Autorin beschäftigt sich mit Herausforderungen für die Krankenhäuser und mit möglichen Konsequenzen ihrer bedenklichen Lage sowie mit der Frage, ob unter den gegebenen Umständen eine stabile Zukunft der deutschen Krankenhäuser überhaupt gesichert sein kann.
Hierzu analysiert sie u. a. folgende Kernproblematiken: Fachkräftemangel, Finanzierung und Struktur. In allen Berufen des Sozial- und Gesundheitswesens fehlen Fachkräfte. Sind Fachkräfte vorhanden, leiden diese an einer grundsätzlichen Überlastung. Der eingeschränkte Handlungsspielraum der Krankenhäuser, z. B. bei der Bezahlung von einer ausreichenden Zahl an Arbeitskräften, liegt größtenteils an der unzureichenden Finanzierung im Verhältnis zu der aktuellen wirtschaftlichen Lage des Systems. Der zunehmende ökonomische Druck führt zu einem Krankenhaussterben, v. a. im ländlichen Raum. Im Jahr 2023 waren 11% der Krankenhäuser einer erhöhten Insolvenzgefahr ausgesetzt, 70% hatten eine negative Jahresbilanz.
Diese Lage wird sich durch den demographischen Wandel noch verschärfen: einerseits durch immer mehr fehlende Fachkräfte und andererseits durch die Überalterung der Gesellschaft mit einem hohen Bedarf an gesundheitlicher Versorgung. Sofern die zu leistenden Beiträge nicht erhöht oder Leistungen gekürzt werden, müssen Krankenkassen mit Defiziten rechnen, die sich automatisch auf die Finanzierung der Krankenhäuser, an der sie maßgeblich beteiligt sind, auswirken.
Im dritten Kapitel beschreibt Amelie Fuchs bereits eingeleitete Maßnahmen zur Krankenhausreform und deren Auswirkungen. Sie greift auch weitergehende Überlegungen auf, z. B. Verstaatlichung statt Gewinnorientierung, attraktivere Konditionen für Auszubildende und Studierende, stärkere Digitalisierung und Einsatz von KI und neuer Technologien.
Die Autorin bilanziert, dass das deutsche Krankenhaussystem vor einem Umbruch steht, der ohne eine tiefgreifende Reform kaum zu bewältigen ist; es bedarf struktureller, finanzieller und technischer Neuerungen. Doch all diese Veränderungen brauchen Zeit und hängen von einer stabilen Finanzierung des Gesundheitssystems ab. Fest steht: Wenn hier nicht in naher Zukunft sinnvoll investiert wird, gehört der Leitgedanke „Patientenwohl statt Profit“ wohl noch länger einer fernen Utopie an.
Die Arbeit erzielte insgesamt 93 von 120 möglichen Punkten. Hinsichtlich der Kriterien „Einbeziehung der Aktualität“ und „Überzeugende Formulierung eines plausiblen Ergebnisses“ lag sie mit 13 von 15 Punkten weit oben. Die Jury überzeugte u. a. die Berücksichtigung lokaler Situationen mittels Presseauswertung, die zutreffende Beschreibung und Bewertung der ökonomischen und demografischen Mechanismen und deren Folgen für die Krankenhäuser sowie das Erkennen des großen Handlungsbedarfes (auch im Vergleich mit anderen Ländern). Stellenweise hätte Amelie Fuchs ihre Argumentation noch stärker in größere politische und wirtschaftliche Zusammenhänge einbetten können (z. B. Berücksichtigung des Föderalismus oder der ökonomischen Dynamik); auch eine Kontaktaufnahme zu Entscheidern z. B. in Form von Interviews wäre interessant gewesen.
Jan Philipp Lechler (Gymnasium Leopoldinum Passau): erster Preis
Der Große Austausch (Leitfach Geschichte)
Die Attentate von Halle 2019 und Hanau 2020 reihen sich nicht nur in eine Anzahl rechtsterroristischer Anschläge ein, sondern beide Attentäter glaubten an die rechtsextreme Verschwörungserzählung des „Großen Austauschs“ oder „Bevölkerungsaustauschs“, nach der die einheimische Bevölkerung der westlichen Länder durch Migranten ersetzt werden soll. Herr Lechler analysiert vor dem Hintergrund der Bedrohlichkeit – die letztlich Gewalt legitimiert – die wesentlichen Inhalte dieses Narrativs und ordnet es als Verschwörungserzählung ein. Auch werden faktisch falsche sowie menschenfeindliche Bestandteile des Narrativs offengelegt.
Maßgeblich geprägt wurde der Begriff von dem französischen Schriftsteller Renaud Camus, der seine Auffassungen zu dem Thema erstmals 2011 in dem Buch „Le Grand Remplacement“ veröffentlichte. 2016 wurde es ins Deutsche übersetzt und vom Verlag Antaios unter dem Titel „Revolte gegen den Großen Austausch“ veröffentlicht. Darin erklärt Camus aus seiner Sicht, wie der „Austausch“ abläuft, wer ein Interesse daran hat und wen er für verantwortlich hält. Camus bezieht sich in seinem Werk weitestgehend auf Frankreich und die dort seit den 1960er-Jahren existierende Migration aus Afrika, insbesondere aus den Maghreb-Staaten. Mit „Austauschern“ meint er also Migranten aus (Nord-) Afrika, deren stetiger Zuzug sowohl die französische Bevölkerung als auch die französische Kultur ersetzen würde. Auch ist auch vom „muslimisch-fundamentalistischen Projekt zur Eroberung der Welt“ die Rede.
In der Variante der deutschen extremen Rechten richtet sich der Hass ebenfalls gegen Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten. Auch im deutsch-sprachigen Diskurs wird ganz Europa und deren Bevölkerung als vom „Bevölkerungsaustausch bedroht“ angesehen. Alle als „fremd“ imaginierten Menschen gehören aus Sicht der extremen Rechten nicht dazu, z. B. dunkelhäutige Menschen oder Muslime.
Herr Lechler beschreibt die drei Grundannahmen eines „Großen Austauschs“ als Verschwörungserzählung: gezielte Planungen, Unterstellung der Heimlichkeit und Herstellung eines fiktiven Zusammenhanges. Der Autor geht intensiv auf die Gefährlichkeit des ideologischen Konzeptes des Ethnopluralismus der neuen Rechten ein. Dieses bietet dem Denkmuster des „Großen Austauschs“ nicht nur eine Argumentationshilfe, sondern stellt die zentrale Grundlage für die in der Verschwörungserzählung angewandten Denkweisen dar. Der Mensch wird nicht als Individuum begriffen, sondern nur als Teil eines Volkes, mit dem er untrennbar verbunden ist – Kultur und Volk werden als Einheit betrachtet. „Kulturfremde“ sind aufgrund ihrer „Kultur“ nicht integrierbar. Mit dieser Vorstellung wird die vermeintliche Bedrohlichkeit des „Bevölkerungsaustauschs“ noch verstärkt. Der Ethnopluralismus bietet eine scheinbar plausible Begründung dafür, Einwanderung komplett abzulehnen.
Herr Lechler kommt zu dem Ergebnis, dass dieser modernisierte Rassismus ein integraler Bestandteil der Verschwörungserzählung ist. Zudem wird neben frauenfeindlichen und homophoben Elementen auch die Verfassungsfeindlichkeit des „Großen Austauschs“ deutlich. Der ethnisch definierte Volksbegriff und v. a. die Islamfeindlichkeit verachten die im Grundgesetz verankerten Prinzipien des Diskriminierungsverbots und der Religionsfreiheit. Um die Thesen der Verschwörungserzählung realistisch wirken zu lassen, werden Extremszenarien und unverhältnismäßige Übertreibung verbreitet, wie das der Islamisierung, welche so nicht belegbar sind. Die Verschwörungserzählung des „Großen Austauschs“ hat innerhalb des letzten Jahrzehnts im politischen Tagesgeschäft an Bedeutung zugenommen, v. a. durch die AFD, die das Narrativ an verschiedenen Stellen aufgreift und das Denkmuster somit verbreitet.
Die Arbeit erzielte 104 von maximal 120 Punkten. Jeweils die Höchstpunktzahl von 15 Punkten wurden bei den Kriterien „Problemorientierung“ und „Anwendung von Recherchemethoden“ erreicht; „Einbeziehung der Aktualität“, „Eigenständiges kritisches Urteil“ und „multiperspektivische Vorgehensweise“ wurden von der Jury jeweils mit 14 Punkten bewertet. Gewürdigt wurden ein breites Literaturstudium und das Heranziehen vielfältiger (auch audiovisueller) Quellen. Wünschenswert wäre gewesen, dass sich Herr Lechler in seiner Arbeit stärker mit der aktuellen Migrationsdebatte auseinandergesetzt und sich nicht nur auf die Textgrundlage von Renaud Camus gestützt hätte.
Martha Westerhoff (E.T.A Hoffmann-Gymnasium Bamberg): dritter Preis
Das bedingungslose Grundeinkommen. Wunsch und Wirklichkeit (Leitfach Wirtschaft und Recht)
In Deutschland sind 2024 ca. 13 Millionen Deutsche von Armut bedroht, d. h. 16% der Bevölkerung. Besonders betroffen sind Alleinerziehende, Menschen mit Migrationshintergrund, Arbeitslose und Rentner. Geringe Löhne und prekäre Arbeitsverhältnisse verschärfen die Lage. Auch die Kinderarmut ist ein wachsendes Problem. Maßnahmen wie Mindestlohnanpassungen und Sozialleistungen reichen oft nicht aus, um Armut zu bekämpfen und langfristig soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten. Wissenschaftliche Einschätzungen befürchten, dass diese Entwicklung schließlich zu einer extremen Polarisierung und somit zu einer Gefährdung unserer Demokratie führen könnte.
Vor diesem Hintergrund stellt sich Martha Westerhoff in ihrer Arbeit die Frage, ob ein bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland eingeführt werden sollte und ob es helfen könnte, die Einkommensverteilung gerechter zu machen. Sie verweist auf eine repräsentative Umfrage (Adriaans et al., 2019), wonach sich etwa die Hälfte der Befragten in Deutschland für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens aussprechen. Die Zustimmung zu dieser Form der Armutsbekämpfung ist bei jungen Menschen, Personen mit hoher Bildung und niedrigem Einkommen besonders hoch. Frau Westerhoff definiert die Grundlagen des Ansatzes eines bedingungslosen Grundeinkommens und erklärt die zentralen Merkmale dieses Konzepts; sie behandelt die Kernwünsche Bekämpfung von Armut, Abbau von Bürokratie, Verbesserung des sozialen Ausgleichs und Förderung einer wirtschaftlichen Teilhabe aller.
Sehr spannend und ausführlich wird der Haupteinwand gegen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, die Finanzierung, analysiert. Hier geht die Autorin besonders auf die Kosten und Steuerbelastungen ein, die mit der Einführung verbunden wären. Langfristig würde ein bedingungsloses Grundeinkommen wohl nicht durchsetzbar sein, denn Mikrosimulationsstudien verdeutlichen, dass die Einführung zu massiven Steuererhöhungen führen würde. Zudem gibt es Bedenken, dass die Arbeitsmoral stark abnehmen könnte, Menschen hätten weniger Anreize, eine Arbeit aufzunehmen. Dies könnte den Wirtschaftsstandort Deutschland nachhaltig belasten – Aspekte, die aus der Sicht der Autorin unbedingt beachtet werden müssen.
Für Frau Westerhoff ist ein Kernwunsch – die Bekämpfung von Armut – dennoch sehr wünschenswert. Besonders sozial benachteiligte Menschen könnten durch ein bedingungsloses Grundeinkommen der Armutsspirale entkommen und dies gäbe ihnen mehr Freiheit; sie würden unabhängiger und könnten ein menschenwürdigeres Leben führen.
Die Autorin ist am Ende ihrer Seminararbeit sehr ehrlich, sie kann keine eindeutige Antwort auf die Frage geben, ob ein bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland eingeführt werden sollte. Aus ihrer Sicht mangelt es noch deutlich an empirischer Evidenz; weitere langfristig ausgerichtete experimentelle Studien wären wünschenswert.
Die Stärken der Arbeit sah die Jury v. a. in der „Problemorientierung“ und der „überzeugenden Formulierung eines plausiblen Ergebnisses“, in beiden Kategorien wurden hohe Punktzahlen vergeben. Die Arbeit liefert einen umfassenden Überblick über die Diskussion zum Grundeinkommen unter Berücksichtigung internationaler Studien, wenngleich eine wirtschaftswissenschaftliche Orientierung überwiegt und gesellschaftspolitische Aspekte nur gestreift werden.